Montag, 17. August 2015

Gehen lernt man durch Stolpern?

Eine Kaffeebeigabe

Das soll ein bulgarisches Sprichwort sein. Ich bin ein wenig verwirrt.
... na das bist Du öfter mal. Was beschäftigt Deine grauen Zellen jetzt mal wieder.
Ich dachte das heißt "Gehen lernt man durch Fallen". 
... und, wo ist der Unterschied?
Fallen schmerzt mehr. Und es ist wahrscheinlicher. Stolpern, warum sollte ich gleich stolpern, wenn ich was Neues lerne.
... genauso wahrscheinlich, wie fallen.
Nein, nicht genauso. Ich stelle mir vor, beim Gehen lernen ist, das Gleichgewicht zu halten, das schwierigste. Also fällt man. 
... das ist doch das Stehen schon. Oder?
Hmmm, hast recht. Also wenn man stehen kann, hat man schon genügend Gleichgewicht. Wenn man dann anfängt, zu gehen, besteht die Problematik, die Beine richtig zu setzen. Nicht über dieselben zu stolpern.
Hmmm, und auch wieder nicht. Wenn ich stehen kann, beherrsche ich eine Art des Gleichgewichts. Wenn ich aber gehen will, muss ich diese Stabilität erst mal verlassen lernen. Und da kann ich schon fallen, ohne dass ich stolpere.
... Du siehst das ohnehin zu technisch. Keiner sagt dem kleinen Kind, Du musst stolpern/fallen, damit Du gehen kannst. Es geht doch um die Frage, wie lernt man was Neues. Man scheitert, man begibt sich in Gefahr, es kann schmerzen. 
Das ist mir schon klar. Man bekommt gesagt: Gib nicht so schnell auf, Du wirst es schon lernen. Das ist aber leichter gesagt als getan. Mir fällt nichts leicht, was mit der Koordination meines Bewegungsapparates zu tun hat. Ich habe mit ... 12 ... Jahren gelernt, Fahrrad zu fahren und warum? Wegen der scheiß Angst. Und dabei bin ich nicht mal groß gefallen. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass ich mit dem Fahrrad gefallen wäre. 
... ahh, so ein Angsthase ...
Ja, das machte es ja noch schlimmer. Wenn man dann auch noch keine Angst zeigen darf, wie soll man sich dann überhaupt trauen, was zu tun, bei dem man Angst hat. Als Kind war das schlimm. Die anderen konnten alle ohne Probleme Fahrrad fahren und Du machst Dir in die Hosen, weil Du Dir vorstellst, was alles passieren kann, wenn man mit dem Drahtesel umfällt.
Zum Glück wohnte ich in einer bergigen Gegend, wo das Fahrrad fahren ohnehin nicht so üblich war.
... und wie hast Du's dann gelernt.
Ganz alleine für mich. Irgendwann, ich war wahrscheinlich groß genug, dass ich das Fahrrad wie ein Laufrad bewegen konnte, schaffte ich es die Füße für längere Zeit auf die Pedale zu bekommen.
Die Straße vor unserem Haus war gerade am Entstehen. Ich erinnere mich nur, dass es alles Schotter war. Total begeistert bin ich gleich gegen die nächste Gartenmauer gefahren. 
Und natürlich hingefallen. Es ist dabei aber nichts schlimmes passiert und so war das in der Begeisterung darüber, dass ich es jetzt raus hatte, gleich wieder vergessen.
Von da ab, bin ich wie ein Besessener Fahrrad gefahren.
... siehst Du, dann hatte die Geschichte doch noch ein gutes Ende. Auf der anderen Seite hast Du dadurch vielleicht auch einiges versäumt. Sind die anderen Kinder nicht mit dem Fahrrad gefahren, und Du konntest nicht mit.
Daran erinnere ich mich nicht. Eigentlich war das mit dem Fahrrad nicht so schlimm. Schwimmen lernen, das war schlimmer. Die Angst vor dem Wasser war noch viel größer. Ich habe es erst Mitte/Ende zwanzig geschafft, längere Strecken zu schwimmen.
Nichtschwimmer waren im Sportunterricht eine geächtete Gruppe. Wir dümpelten immer im Nichtschwimmerbecken rum und haben uns mit schöner Regelmäßigkeit die vier im Sport deswegen abgeholt. Keiner hat auch nur die geringsten Anstalten gemacht, uns das Schwimmen beizubringen.
... das wäre noch schöner. Du hast 20 Jungs und 4 davon können nicht schwimmen. Was willst Du denn mit den anderen machen, während Du den Angsthasen versuchst, das Schwimmen beizubringen. Die machen doch nur Blödsinn.
Ja, verstehe ich schon. Sportunterricht ist, glaube ich, ein extra Thema. Jedenfalls musste ich das Schwimmen auch für mich alleine lernen. ... Das heißt, das was ich Schwimmen nenne. Aber immerhin habe ich es schon geschafft, auch mal fast zwei Stunden durch einen Baggersee zu schwimmen. Das kann man glaube ich schon Schwimmen nennen.
... Du hast wahrscheinlich auch mal wieder keinen gebeten, Dir zu helfen. 
Nein, auf keinen Fall jemandem zur Last fallen. Man könnte sich ja auch blamieren oder verspottet werden. Das habe ich erst überwunden, als ich das Geld hatte, jemandem dafür etwas zu bezahlen.
... wie geht das. Ich verstehe nicht, wie man 3 Jahrzehnte brauchen kann, so was Grundlegendes wie Schwimmen zu lernen. Ich würde sagen, was man mit 15 nicht kann, das lernt man nie.
Oh, doch, die Motivation wurde immer stärker. Meine Freundin und spätere Frau ist an der Ostsee groß geworden. Sie schwamm wie ein Fisch im Wasser. Und als es auseinander ging, hatte ich Zeit und irgendwie auch den Ehrgeiz. Und als ich dann gelernt hatte, im Wasser auszuatmen und zwischendurch den Kopf zum Einatmen aus dem Wasser zu nehmen, war es nicht mehr schwer, die Strecken immer länger werden zu lassen.
Aber das Ausatmen war schon ein Problem. Man muss loslassen, in dem Vertrauen, dass man wieder Luft bekommen wird. Und das in einem Moment, wo Luft das Wichtigste im Leben zu sein scheint.
Das ist wie beim Skifahren. Beim Parallelschwung muss man sich quasi vorwärts, wie ein Turmspringer, den Berg hinunterstürzen, um die Ski hinten zu entlasten und herum zu bekommen. Je steiler es ist, um so mehr muss man entlasten und um so größer ist die Angst, den Berg hinunter zu stürzen. Aber wenn man den Ski hinten herum bekommen hat, kann man problemlos kanten und alles wieder unter Kontrolle bekommen. Dafür habe ich, nebenbei gesagt, 4 oder 5 Skikurse und passende Stiefel gebraucht.
... Loslassen, gehen lernt man durch Loslassen! Das passt doch auch! Das Kind hält sich erst fest und dann lässt es los und fängt an zu laufen. Oder es läuft neben der Mutter her und irgendwann lässt es los und läuft von selbst.
Stimmt. Vielleicht musste ich jedesmal das Loslassen lernen. Und die Angst ist die Angst zu verlieren. Ich muss den sicheren Stand verlassen um Gehen zu können. Ich muss Zurücklassen um was Neues zu erleben. Ich muss Balast abwerfen um mich verändern zu können.
... Ich muss, ich muss ... schaffst Du das immer nur durch Zwang? Ist nicht ein Wille genug, um das Unangenehme auf sich zu nehmen, um das Neue, vielleicht Bessere zu lernen oder zu erleben?
Nein, der Wille ist nicht genug, wenn nicht genügend Mut dabei ist. Hmmm. Gehen lernt man durch Mut. Auch eine Variante. Aber das Sprichwort handelt wohl mehr davon, sich von Misserfolgen nicht entmutigen zu lassen, als von dem fehlenden ersten Mut.
... aber das ist doch dasselbe. Ob man sich von der Phantasie entmutigen lässt und deshalb aus Angst gar nicht erst Misserfolge erlebt, oder ob man nach ein zwei Versuchen aufgibt.
Hmmm, jetzt wird's zu kompliziert. Ich glaube ich nehme heute mal die Sache mit dem Loslassen mit, bevor ich jetzt noch mehr über Angst, Mut, Wille, Blamage, Stolz, Freude, Erfolg ... nachdenke. 


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